Sächsische Soziokultur stellt neue Fachliche Standards vor

Donnerstag
14 Nov
2024

Der Landesverband Soziokultur Sachsen e.V. veröffentlichte am 14.11.2024 neue fachliche Standards, welche das Grundverständnis, Methoden, Arbeitsprinzipien und Gelingensbedingungen für soziokulturelle Einrichtungen und deren Arbeit beschreiben.

Warum haben wir uns auf den Weg gemacht?
Die Soziokultur ist ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Lebens in Sachsen und trägt maßgeblich zur gesellschaftlichen Entwicklung und Teilhabe bei. Dabei ist die Soziokultur geprägt von einer Vielfalt an Akteuren und Formaten, die sich in unterschiedlichen Strukturen und Organisationsformen engagieren.
Für die Interessenvertretung leistet sich die Sächsische Soziokultur seit über 30 Jahren einen Dach- und Fachverband. Vor rund 20 Jahren erarbeitet und im Jahr 2013 zuletzt aktualisierte der Verband einen Kriterienkatalog Soziokultur, welcher nicht nur Soziokultur beschreibt, sondern auch Bedingungen für die Arbeit der Soziokulturellen Zentren und Soziokultureller Projektarbeit formuliert hat.
Erklärtes Ziel war es seinerseits, damit nicht nur eine Handreichung für die Mitgliedschaft zu entwickeln, sondern auch die in Sachsen noch junge Kultursparte kulturpolitisch noch besser zu platzieren, sowie Fördermittelgebern ein Tool zur Einschätzung und vor allem auch zur Abgrenzung an die Hand zu geben. Mittlerweile arbeiten alle Kulturräume und viele regionale Fördertöpfe mit dem Kriterienkatalog.
Ziel war es aber auch immer, den Kriterienkatalog kontinuierlich fortzuschreiben, um die Praxis der Arbeit und die Herausforderungen an die Arbeit so nahe wie möglich darzustellen – da sich strukturelle Bedingungen fortlaufend ändern und auch Gesellschaftliche Herausforderungen komplexer wurden.

Was bietet Soziokultur?
In den letzten Jahren erlebt Deutschland eine Vielzahl von gesellschaftlichen Herausforderungen: Themen wie demografischer Wandel, Digitalisierung, Umwelt- und Klimaschutz, geopolitische Spannungen und Krieg, Flucht und Asyl, Migration und Integration, soziale Gerechtigkeit, Pandemie, etc ..
Wir sind überzeugt, dass unsere Kultursparte vielleicht die einzige ist, welche gesellschaftliche Herausforderungen nicht nur kritisch anspricht, künstlerisch bearbeitet, sondern eben unmittelbar im Gemeinwesen wirkt – weil Soziokultur aktiv mit den Menschen zusammenarbeitet, eben auch empowert, Selbstwirksamkeit ermöglicht, Beteiligungen und Mitgestaltung schafft,– also wenn man so will – die demokratischste Kultursparte ist.
Soziokultur bietet mit Kommunikationsorten Raum für Dialog und Verständigung, somit können Brücken zwischen unterschiedlichen sozialen, kulturellen Gruppen geschlagen werden, Vorurteile können abgebaut werden, Verständnis und Perspektivwechsel wird ermöglicht. Die kreative Auseinandersetzung mit Lebensbedingungen wird gefördert, nicht nur rezeptiv, sondern auch aktiv.
Soziokultur vereint unterschiedliche Arbeitsfelder und ist im Bereich der kulturellen, politischen, sozialen Bildung aktiv. Soziokultur arbeitet auch aktiv mit besonderen Zielgruppen zusammen, so z.B. Personen mit Behinderung, Geflüchteten, Personen in schwierigen Lebenslagen, Personen mit Migrationshintergrund.
Soziokultur arbeitet mit Kindern, Jugendlichen Erwachsenen und Senioren zusammen, dies oftmals auch generationsübergreifend. Soziokultur basiert auf der Überzeugung, dass Kunst und Kultur nicht nur als Mittel der Unterhaltung zu verstehen ist, sondern als Werkzeug dient, um das Bewusstsein für gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu schärfen. Soziokultur bietet also einen Weg das soziale Gefüge zu stärken und die Resilienz von Gemeinschaften gegenüber Krisen zu erhöhen.

Soziokultur wirkt!?
Ja. Soziokultur wirkt über die Arbeit mit den Menschen vor Ort hinaus in das Gemeinwesen; als kultureller und sozialer Faktor, als wirtschaftlicher Faktor, als wissenschaftlicher Faktor, als infrastruktureller Faktor, als touristischer Faktor, als Ermöglicher für bürgerschaftliches Engagement, für den Arbeitsmarkt. (siehe auch Geschäftsbericht Alter Gasometer e.V. 2023)

Aber wirkt die Arbeit? Was sind Indikatoren dafür? Die Bestandserhebung der Sächsischen Soziokultur aus dem Jahre 2023 bietet zunächst Antworten auf den Output – auf die Art der Veranstaltungen, die Anzahl von Veranstaltungen, Akzeptanz, und ähnliches. Bestenfalls können wir über Kennzahlen Wirkungen festmachen, z.B. Wie hoch ist das Steuergeldaufkommen je Nutzenden? Durch Feedbackbögen, Interviews, Berichtswesen lassen sich auch Veränderungen der Lebenslagen, Denk- und Handlungsweisen nachweisen. Herausfordernd ist es, langfristige, nachhaltige Effekte im Gemeinwesen in messbarer Qualität darzustellen. Hier sehen wir eine wichtige Herausforderung – der Landesverband Soziokultur wird daher erforderliche Entwicklungsprozesse imitieren und Angebotsformate gestalten um die Entwicklung und Anwendung von qualitativen Wirkungsindikatoren zu erarbeiten.

Was benötigen wir dafür?
Die sächsische Soziokultur leistet einen wesentlichen Beitrag zum demokratischen gesellschaftlichen Zusammenleben und erfüllt damit einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag, respektive Aufgaben mit gesetzlichem Rechtsanspruch.
Wir benötigen daher eine angemessene Struktur, welche insbesondere eine Basisfinanzierung für Personal- und Sachkosten gewährleistet, welche sich nach Größe der Einrichtung bzw. Umfang der Angebote richtet.
Wir reden von hauptamtlichen Fachpersonal welche gesetzlichen und förderrechtlichen Auflagen umsetzen kann und muss und welche auch förderrechtlich anrechenbar sein müssen.
Dazu gehören Geschäftsführer, Fachkräfte für inhaltliche Aufgaben, Verwaltungspersonal, Personal für Facility, IT und Technik, Personal für PR und Marketing.
Eine aktuelle Umfrage in der Sächsischen Soziokultur zur FAIREN VERGÜTUNG zeigt an, dass 93% der Einrichtungen einen zusätzlichen Bedarf für Stellen im Bereich Verwaltung – für Aufgaben im Personalwesen und Finanzwesen benötigen. 64% geben an, keine Mittel für eine Stelle im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Marketing zu ermöglichen. Insgesamt fehlen in den Einrichtungen rund 300 Fachkraftstellen.
Auch dazu gehören Weiterbildungsbudgets, Mittel für Personalentwicklung und -gewinnung, aber auch Themen wie betriebliche Gesundheitsvorsorge.
Gleichzeitig muss eine tarifgerechte Vergütung möglich sein. Etwa nur 24 % der befragten Einrichtungen richten die Entlohnung ihrer Beschäftigten an öffentlichen Tarifverträgen (meist dem TVöD) aus. Der Großteil der Einrichtungen orientiert sich zwar am TVöD, weicht jedoch in der Bezahlung ab. Ein Problem ist, dass neben fehlenden finanziellen Mitteln vor allem unzureichende Förderrichtlinien die Grundlage für Positionen im Verwaltungs-, PR- und Technikbereich untergraben.
Aber auch die personelle, finanzielle und zeitliche Ausgestaltung von meist gesetzlich geforderten Querschnittsaufgaben wie Arbeits- und Gesundheitsschutz, Brandschutz, Datenschutz, Qualitätsmanagement muss mitgedacht werden.
Auch Mittel für die Bewirtschaftung und inhaltliche Ausgestaltung muss je Einrichtung mit einem Mindestmaß vorhanden sein. Ebenso bedarf es Mittel für Infrastruktur und Ausstattungen, z.B. Energieeffizienz, Barrierefreiheit, etc..

Sächsische Soziokultur finanziert sich durchschnittlich zu 20% selbst. Für die Übernahme von gesellschaftlichen Aufgaben und klar definierter satzungsrechtlicher Ziele und Aufgaben ist die Eigenmittelquote nicht beliebig skalierbar. Für eine Vielzahl von inhaltlicher Arbeit kann zwar auf unterschiedlichste Fördermittelprogramme zugegriffen werden. Voraussetzung dafür ist aber eine angemessene institutionelle Förderung.

Was erhoffen wir uns mit den Fachlichen Standards für die Soziokultur in Sachsen?
In Anbetracht der vielfältigen positiven Auswirkungen von soziokultureller Arbeit, ist es Wichtig das Gremien in Politik und Verwaltung die Bedeutung der Soziokultur anerkennen, wertschätzen und die Chance sehen, dies in ihre strategische Planung zu integrieren.

„Unser Land braucht dieses Engagement, das auf Zusammenhalt und Miteinander, auf Offenheit und Empathie ausgerichtet ist.“, so Kulturstaatsministerin Barbara Klepsch in ihrem Grußwort.

Daher beschreiben wir in den Fachlichen Standards das Selbstverständnis Sächsischer Soziokultur und unseren Qualitätsanspruch.
Wir beschreiben Potentiale und den Wert für die Menschen vor Ort und für das Gemeinwesen.
Wir beschreiben den Mehrwert für Politik und Region.
Wir beschreiben aber eben auch die notwendigen Rahmenbedingungen.

Und nun?
Gegenwärtig stehen die sächsischen Einrichtungen der Soziokultur – ebenso wie andere Arbeitsfelder, vor enormen und möglicherweise beispiellosen Herausforderungen der letzten Jahre. Auf Bundesebene herrscht finanzielle Unsicherheit. Es stehen bedeutende Einsparungen in den Bereichen Kultur, Soziales und Teilhabe bevor. Die Gesetzgebung zum Haushalt bleibt undurchsichtig. Die vorzeitige Bundestagswahl hat förderrechtliche Blockaden hervorgerufen. Zudem ist die politische Lage im Freistaat unklar. Wer wird die Regierung bilden? Welche Schwerpunkte werden gesetzt? Wie sollen diese finanziert werden? Und wann wird das dafür benötigte Geld bereitgestellt, wenn derzeit von einer haushaltsfreien Zeit gesprochen wird und frühestens Mitte nächsten Jahres finanzielle Klarheit erwartet werden kann? Ebenso wichtig ist die Evaluierung und Fortschreibung des sächsischen Kulturraumgesetzes. Verschieben sich hier die Prioritäten? Werden sich finanzielle Planungen ändern? Hinzu kommen neu gewählte Kommunalparlamente, Stadträte, Kreisräte und Ausschüsse, jedoch mit immer knapper werdenden kommunalen Mitteln. Die Themen Haushaltskonsolidierung oder sogar Zwangsverwaltung sind wieder im Gespräch. Erste alarmierende Anzeichen für Einschnitte bei der Förderung von Kultur, Jugend und Sozialem kommen aus den Städten Dresden und Chemnitz – gerade in der Phase, in der die Region Chemnitz-Zwickau zur Kulturhauptstadt wird. Daher kommen die fachlichen Standards der Soziokultur in Sachsen zu einem entscheidenden Zeitpunkt. Sie könnten eine wertvolle Unterstützung und Argumentationshilfe in den bevorstehenden Gesprächen mit Politik und Verwaltung sein, um die soziokulturelle Arbeit in Sachsen auch über 2024 hinaus zu sichern. Damit unser Motto “Mit Kultur Gemeinwesen gestalten” weiterhin der Schlüssel für ein erfolgreiches gesellschaftliches Miteinander in Sachsen bleibt.

Hier geht es zu den Fachlichen Standards:

Fachliche-Standards-Soziokultur_2024

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